May 2023

Der Mann fürs Grüne

Norbert Müller ist seit 16 Jahren bei ISS Teamleiter Garten Zentralschweiz. Beim Auslichtungsschnitt erzählt der Gärtnermeister von der Faszination seines Berufes und verrät Tipps für den eigenen Garten.

Während andere ihren ersten Kaffee schlürfen, entfacht Norbert Müller mit einem kräftigen Zug am Startseil das Fauchen seiner Kettensäge. Vor ihm präsentiert sich ein ausgewucherter Lorbeerstrauch. Nach wenigen Minuten ist der Strauch nur noch halb so üppig.

Zimperlich geht der 44-jährige Gärtnermeister nicht vor. «Ich bin ja kein Florist», sagt er und grinst hinter dem Visier seines Arbeitshelms. Sein überschaubares Erbarmen hat aber auch damit zu tun, dass der Lorbeer invasiv ist, ein sogenannter Neophyt, der rasch wächst und die einheimische Flora verdrängt.

Seit 16 Jahren ist Norbert Müller Gärtnermeister bei ISS. Aufgewachsen ist er am Fusse des Pilatus, in einem abgelegenen Dörfchen, wo er heute noch mit seiner Familie wohnt – im Eigenthal «am schönsten Ort der Schweiz», wie er behauptet.

Die Natur ist seine Leidenschaft. Als Einzelkind musste er sich oft allein beschäftigen. Für ihn bedeutete das: ab in den Wald! Später trat er der lokalen Jagdgesellschaft bei und arbeitete als Naturführer, damit sich die Touristen nicht im Wildschutzgebiet verirren.

Vom Urserental bis ins Entlebuch

Heute ist Müller mit seinem Mitarbeiter Ergül Yilmaz in Gisikon-Root bei einer der 68 Landzentralen der Swisscom beschäftigt, die ISS in der Zentralschweiz betreut. Dies sind Gebäude, die primär der Übertragung von Telefonie wie auch Daten dienen und zu deren Grundstück häufig auch Grünflächen gehören. Ihr Einsatzgebiet erstreckt sich über sechs Kantone, vom Urserental bis ins Entlebuch. Die beiden halten die Grünflächen rund um die Landzentralen in Schuss, mähen Wiesen, schneiden Sträucher, stutzen Bäume.

Ergül Yilmaz hat fast zeitgleich mit Müller bei ISS angefangen. Er schwärmt von seinem Chef. «Norbert ist ein echter Meister», sagt er. Dank ihm habe er nicht nur viel über die Natur gelernt, sondern auch Deutsch. Müller bestätigt, dass sie seit Jahren ein super Team seien, obwohl sie doch recht unterschiedlich seien. Er ein Landei aus dem Eigenthal, Yilmaz ein Städter aus Istanbul. «Für mich ist schon Luzern zu gross», scherzt Müller. Seit 20 Jahren hat er sich nicht mehr in die Kantonshauptstadt gewagt.

Einsatz im Gebirge

«Jetzt ist’s aber luftig!», ruft eine Frau, die beim Vorbeifahren durch das offene Autofenster den gestutzten Lorbeerstrauch sieht. Dieser hatte die Sicht vom Parkplatz auf die Strasse beeinträchtigt – ein weiterer Grund für Müllers Radikalschnitt. Über die Reaktion der Autolenkerin freut er sich, zumal das Verständnis für die Gartenarbeit, die zwischendurch auch einmal laut ist, nicht bei allen Anwohnern gleich gross sei.

Bei einigen Einsätzen kommen Müller und Yilmaz aber niemandem in die Quere. Nebst den Landzentralen bewirtschaften sie auch die Grünflächen von 34 Swisscom-Antennen im Hochgebirge. In der warmen Jahreszeit planen sie dafür einen Tag pro Woche ein – die liebsten Arbeitstage des Gebirgsfüsiliers Müller, aber auch die anstrengendsten. «Zur Antenne auf dem Lopper geht es eine halbe Stunde fast senkrecht aufwärts», erzählt er.

Die Krux mit dem Wetter

In den 90er Jahren war Müller nach dem Jahrhundertsturm «Lothar» im Forst im Einsatz. Stundenlang sass er damals in der Führerkabine eines Holzvollernters, der mit einem Greifarm Bäume fällt und gleich noch entastet. Ein Bubentraum. Nicht nur die Natur, sondern auch die Technik fasziniert Norbert Müller.

Beide Leidenschaften kann er bei ISS ausleben. Etwa beim Führen eines einachsigen, handgeführten Schlegelmulchers, ein grosser Rasenmäher. Und insgeheim hofft er, dass der Bund den invasiven Pflanzen gesetzlich den Garaus macht. Dann wird er bei ISS eine selbstfahrende Wurzelstockfräse auf die Beschaffungsliste setzen.

Oft ist es das Wetter, das das Tagesprogramm diktiert. Hart war der Winter. Für die Vegetation sei das kein Problem, sagt Müller, im Gegenteil. In der kalten, trockenen Luft hätten Pilze – die grössten Feinde aller Pflanzen – keine Überlebenschancen, und auch andere Schädlinge würden erfrieren. Doch wegen des vielen Schnees konnten er und Yilmaz erst spät mit dem Baumschnitt beginnen. 

Dennoch schätzt es Müller, stets «draussen im Wetter» zu arbeiten. Es gibt ihm die Freiheit, spontan und wetterabhängig zu planen. Nicht selten wird bei unterschiedlichen Wetterlagen die Grösse des Mandatsgebiets zum Vorteil: «Wenn es in Zug regnet, ist es in Wassen oft schön», erzählt Müller. So stehen Müller und Yilmaz fast immer auf der Sonnenseite des Arbeitslebens.

MÜLLERS TIPPS FÜR HOBBYGÄRTNER

1) Vergessen Sie das Golfrasen-Ideal! Sie brauchen nicht jeden Grashalm zu stutzen. Ein etwas höherer Blumenrasen ist farbiger und bietet Kleinstlebewesen mehr Nährstoff und Rückzugsmöglichkeiten. Sie könnten sogar ein Insektenhotel aufstellen – gerade Kinder beobachten gerne Tierchen.

2) Pflanzen Sie einheimische Arten! Fremde Arten verbreiten sich oft rasant und können unserem Ökosystem schaden. Wählen Sie anstelle einer Hecke aus asiatischem Lorbeer eine einheimische Eiben- oder Hagenbuchhecke. Mein Geheimtipp ist der Seidelbast. Der blüht schon im März wunderbar violett und muss nicht einmal zurückgeschnitten werden.

3) Zimmerpflanzen stecken Trockenheit besser weg als zu viel Feuchtigkeit. Deshalb gilt beim Giessen: Weniger ist mehr. Meist reicht ein Joghurtbecher voll Wasser pro Woche. Wenn Sie ein Holzstäbchen oder Ihren Finger in die Erde stecken, spüren Sie sofort, ob diese noch feucht ist.

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Diesen Artikel schrieb ich bei Widmer Kohler für das Mitarbeitermagazin «iss Insider» (Frühling 2021).

© 2022 Colin Bätschmann